Das Störungsbild dieses Namens (kann man es “Störung” nennen?) wurde von dem Kinderarzt und Leiter der Heilpädagogischen Station der Wiener Universitäts-Kinderklinik Dr. Hans Asperger 1944 erstmals beschrieben. Frau Dr. Lorna Wing, die Aspergers Habilitationsschrift ins Englische übersetzte, machte das Asperger-Syndrom im Jahr 1981 international bekannt. 1993/94 wurde das Asperger Syndrom in die Klassifikationssysteme ICD-10 (F84.5) und DSM-IV aufgenommen. Es ist dem Autismusspektrum - und somit den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen - zugeordnet.
Leitsymptome des Asperger-Syndroms gemäß ICD-10 sind die:
Die meisten Asperger-Betroffenen besitzen eine mindestens normale Intelligenz bis hin zur Hochbegabung. Häufig sind Muskeltonus und Grob- oder Feinmotorik (Bewegungsablauf und Bewegungsfluss sowie die Links- Rechtskoordination) auffällig.
Die Störung tritt laut ICD-10 vorwiegend bei bei männlichen Personen (Verhältnis 4:1 bis 8:1) auf. Diese angenommene Geschlechterverteilung ist allerdings mittlerweile umstritten.
Im Unterschied zum „frühkindlichen Autismus“ liegt beim Asperger Syndrom keine allgemeine Entwicklungsverzögerung und kein Entwicklungsrückstand der Sprache vor.
Man geht heute - aufgrund von Studien von Familien - davon aus, dass die genetische Komponente bei der Entstehung dieses Syndroms eine große Rolle spielt.
Diagnostische Überschneidungen mit Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im engl. Attention Deficit / Hyperactivity Disorder (ADHD)
In jüngster Zeit ergeben sich immer öfter Hinweise darauf, dass Asperger-Syndrom und ADHS aufgrund ihrer teilweisen Ähnlichkeiten im Erscheinungsbild (z. B. spielt Hyperaktivität auch beim Asperger-Syndrom u. U. eine Rolle) von manchen Diagnostikern differentialdiagnostisch nicht eindeutig abgegrenzt werden kann und daher verwechselt wird. Diesbezügliche Studienergebnisse stehen aber noch aus. Auch das gemeinsame Auftreten der beiden Störungsbilder ist bekannt.
Besondere Fähigkeiten:
Einige Fachleute in der Autismusforschung legen Wert darauf, Menschen mit Autismus NICHT als Patienten zu sehen, sondern als Menschen, welche die Welt und deren Geschehnisse aus einer anderen Sichtweise und Warte sehen („….und es gibt keine richtige versus kranke Warte…es gibt viele Warten“):
Menschen mit Autismus haben eine andere Art der Objektbetrachtung. Sie haben Einsichten, Wahrnehmungen, Betrachtungen etc., die andere nicht haben. Hat man „ein Organ“ für Botschaften von Menschen mit Autismus, so kann man ihr Verhalten verstehen und viel von ihnen lernen. Sie können uns in eine Welt führen, die neurotypische Menschen nicht kennen.
Man geht heute davon aus, dass - ohne Menschen mit Autismus - so manche Formel nie entdeckt, so manche Erfindung nie gemacht, so manches Musikstück nie komponiert oder so manches Buch nie geschrieben worden wäre. Autismus-Persönlichkeiten haben die Gabe in ihren Tätigkeiten, Stunden über Stunden, Tage über Tage, bis ins kleinste Detail vorzudringen. Gewisse Entdeckungen und Werke sind überhaupt erst durch diese Fähigkeit der speziellen Konzentration möglich geworden.
In der Therapie darf man Autismus-Persönlichkeiten deshalb ihre „andere Sicht der Dinge“ nicht nehmen, sondern die Therapie sollte lediglich ein besseres gegenseitiges Verstehen ermöglichen.
Hans Asperger selbst beschrieb dieses Phänomen nicht nur als Störung, sondern er war fasziniert von diesen Menschen und ihrem originellen Erleben und Verhalten.
Defizite in sozialen Fertigkeiten:
Trotz einer grundsätzlich positiven Sicht darf nicht vergessen werden, dass Menschen mit Autismus meist große Defizite in den sozialen Fertigkeiten aufweisen und es dadurch zu einer ganzen Reihe von Problemen und Schwierigkeiten kommen kann (Probleme am Arbeitsplatz, Ehe- und Beziehungsprobleme, Schulprobleme bei Kindern etc.).
Mit speziellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten von Autisten muss man immer rechnen:
So kann beispielsweise ihre Stimmung in Bruchteilen von Sekunden von normaler Befindlichkeit scheinbar in Wut umschlagen. Sie fassen oft Handlungen anderer als böse auf, die aber nicht böse gemeint waren, d.h. sie beziehen etwas auf sich, was vielleicht nur Irrtum oder Fehlleistung anderer war (macht ihnen jemand beispielsweise aus Versehen „die Türe vor der Nase zu“, empfinden sie diese Handlung oft als Absicht und Böswilligkeit). Das kommt daher, da viele Autisten das Denken als ganz bewussten Vorgang erleben und dies bei all ihrem Tun anwenden. Der Umstand, es könne sich jemand einfach nichts dabei gedacht haben, ist ihnen fremd!
Menschen im Autismus-Spektrum geben auch häufig keine „sozial erwünschten“ Antworten. Sie sind direkt und absolut ehrlich in ihren Antworten, selbst wenn diese einen Nachteil für sie selbst bedeuten oder wenn dadurch andere Menschen in Verlegenheit gebracht oder beleidigt reagieren, wobei dies meist sachlich (objektiv) und nicht auf die Person bezogen gemeint ist.
Autisten zeigen meist auch kein „Werbeverhalten“ oder zumindest keine Zwischenstufen beim Werbeverhalten (ansatzlos - und ohne jedes Herantasten - lädt z.B. ein junger Mann mit Autismus ein junges Mädchen ein mit ihm zu kommen). Besonders für junge Männer mit Autismus kann die soziale Ungeschicklichkeit oft zum Problem werden und es ihnen schwer machen, eine Freundin / Frau zu finden.
Typisch für Menschen mit Autismus ist auch ihre sprachliche Originalität bzw. das Bilden von Neologismen. Hier Originalzitate von 11- und 12-jährigen Buben (aus Aspergers „Autistische Psychopathen“):
Generell zeigte sich, dass jene Menschen mit Autismus, die in irgendeiner Form ihr Hobby / Interesse zum Beruf machen konnten, eine wesentlich bessere Lebensentwicklung hatten, als jene, bei denen dies nicht möglich war.
Des Weiteren fiel in einer Untersuchung auf, dass Autismus-Persönlichkeiten signifikant häufiger in ihren Beziehungen unzufrieden sind als die Personen der Vergleichsgruppe ohne Autismus, und dass diese Menschen „ihre Zufriedenheit“ fast ausschließlich über ihre Arbeit definieren. Auch gaben diese Personen sehr häufig an, dass sie innerhalb von Beziehungen oft nicht wüssten, was der Partner / die Partnerin eigentlich von ihnen möchte. Da viele dieser Wünsche vom (nicht betroffenen) Partner nonverbal zum Ausdruck gebracht werden und Autisten diese Signale meist nicht erkennen, ist dies nicht eine Fehlinformation sondern ein nicht informiert sein!
Auf die Frage nach „Freundschaft und Freunden“ nennen die Autisten besonders häufig Menschen mit gleichen Interessen bzw. Arbeitskollegen.
Besonders schwierig für Autisten ist oft die Einstiegsfrage in Therapiegesprächen, welche folgendermaßen lautet: „Erzählen Sie in fünf Minuten signifikante Erlebnisse / Ereignisse aus ihrem Leben.“ Viele haben hier Probleme spontan über „Highlights“ aus ihrem Leben zu berichten, was auf Defizite in der „zentralen Kohärenz“ (Fähigkeit, einzelne Informationen zu einem Gesamtbild zusammenzufassen bzw. das Wesentliche herauszufiltern) hinweist. Deshalb bereiten sich Autisten auf solche Situationen gerne ausführlich vor (zumindest gedanklich), um möglichst Überraschungen zu verhindern.