In dieser Aufstellung habe ich bewusst auf die Bezugnahme zu Diagnosekriterien verzichtet.
Ob dabei der Autismus ausschlaggebend war oder meine Gesichtsblindheit (Prosopagnosie) oder meine Hochbegabung ist schwer zu trennen.
Diesen Bezug mag jeder selbst erstellen.
Im Kindergarten wollte ich bei Theaterspielen keine Maske aufsetzen bzw. irgendeine Rolle spielen. Einmal zwang mich die Leiterin einen Kasperlhut (so einen langen spitzen Hut wie eine umgekehrte Schultüte) aufzusetzen. Ich fühlte mich total unglücklich und unwohl mit diesem (Ver)Kleidungsstück und zog mich dann samt Hut bis zum Endes des Tages in eine Ecke zurück.
Im Kinderhort (1. – 3. Klasse) baute ich am liebsten für mich alleine mit Holzbauteilen. So konstruierte ich einmal eine Schusserbahn, die den ganzen Tisch (für 8 Personen) umfasste und so hoch war, dass ich das obere Ende nur noch erreichte indem ich auf einen Stuhl stieg. Damals wurde auch ein Foto gemacht, was mich sehr freute und auch faszinierte; aber leider habe ich nie einen Abzug davon erhalten. Diese Bahn hat jedoch gar nicht lange existiert (keine halbe Stunde), da sie von anderen Schülern sehr schnell zerstört wurde (ich hätte am liebsten alles mögliche mit diesen gemacht, konnte mich jedoch nicht wehren, da ich der Kleinste und auch der Schmächtigste war – einer meiner späteren Spitznamen war „Biafrakind“)
Schon in der Grundschulzeit hatte ich eine Lieblingsbeschäftigung, der ich heute noch gerne nachgehe, das Lesen. Begonnen habe ich mit dem mehrbändigen Lexikon meiner Eltern und zwar bei “A” fortlaufend bis “Z”. Mich interessierte einfach alles. Informationen zu sammeln war für mich das Schönste und Befriedigendste, so wie andere Kinder Briefmarken oder Bierdeckel sammelten. Meine Eltern wollten oft erreichen, dass ich mit anderen Kindern nach draußen ging, aber wenn ich in ein Buch vertieft war, dann vergaß ich die Welt um mich herum. Viele Jahre später habe ich den Film gesehen “Nr. 5 lebt” In diesem Film erwacht ein Kampfroboter durch einen Blitzeinschlag zu selbstständigem Leben. Was er brauchte war: Input, Input und so erging es mir und ergeht es mir heute noch; mein Gehirn braucht Input.
Damals fing ich auch an, mich über den Magnetismus zu informieren. Diese Technologie faszinierte mich, seitdem mein Großvater väterlicherseits mir im Alter von etwa 3 1/2 Jahren einen Hufeisenmagneten schenkte. Sehr genau kann ich mich noch an diesen Magneten erinnern; er war schwarz lackiert mit roten Enden. Alle möglichen Materialien habe ich damit untersucht und meine erste Liste von Teilen erstellt, die auf den Magneten reagierten. Diese Faszination hielt bis in meine Lehrzeit an und wurde vom Dauermagneten auf den Elektromagneten erweitert. Leider konnte man mir weder damals noch heute das Phänomen des Magnetismus zufrieden stellend erklären. Man kennt zwar die Gesetzmäßigkeit und Anwendung dieser Technologie; aber was genau Magnetismus ist, habe ich noch nicht herausgefunden.
Wenn ich meinen Eltern manche meiner Entdeckungen und Erkenntnisse in Worten darlegen wollte, dann unterbrachen sie mich sehr oft nach wenigen Sätzen mit der Bemerkung: “Bub, sing nicht so!” Ich für meinen Teil empfand meine Rede als ganz normal, aber meinen Eltern und auch anderen Erwachsenen war meine Sprachmelodie (Intonation) offenbar unangenehm. So kam es, dass ich manchmal sehr schnell sprach, um vor einem Abbruch seitens der Zuhörer möglichst viel gesagt zu haben.
Als ich ca. 8 Jahre alt war gab es immer Zoff mit meiner 1 1/2 Jahre älteren Schwester, da wir beide den gleichen Platz und damit gleichen Stuhl am Esstisch für uns beanspruchten. Mein Vater (den ich in Verdacht habe, auch Autist gewesen zu sein), machte dann folgenden Vorschlag: 'Wir sollten einfach tageweise wechseln, der eine an den ungeraden Tagen und der andere an den geraden Tagen.' Da habe ich kurz überlegt und nachgerechnet und die ungeraden Tage für mich gewählt; meiner Schwester war jede Überlegung zu anstrengend und stimmte zu. Erst viel später hat sie verstanden, dass es mehr ungerade Tage im Jahr gibt als gerade Tage.
In der Schule wurde ich sehr oft ausgegrenzt, z. B. im Sport (bei schlechtem Wetter in der Turnhalle) wurde öfters Völkerball gespielt - zwei beliebige vom Lehrer ausgewählte Schüler bildeten den jeweiligen Mannschaftskapitän, die dann abwechselnd einen der übrigen Schüler in ihre Mannschaft wählten - ich war immer der letzte gewählte - ja es wurde sogar nicht einmal als ungerecht empfunden, wenn durch mich eine Mannschaft größer war!
Über all die Jahre ist es mir immer wieder gelungen, dass ich (und meist als einziger) eine Schulbank für mich alleine hatte – ich konnte es nicht ertragen, wenn ein Mitschüler mir so nahe war. Den Lehrern war dies meistens recht, da ich einer der Besten in der Klasse war und so niemand bei mir abschreiben konnte – was ich sowieso nicht zugelassen hätte.
In der Pause im Pausenhof hatte ich meinen Lieblingsplatz, von dem aus das Glockensignal gut zu hören war, da es schon mehrmals vorgekommen war, dass ich das Signal überhörte und erst durch den leeren Schulhof auf das Ende der Pause aufmerksam wurde. Vor allem in den unteren Klassen hatten in den Schulpausen meine lieben Mitschüler gerne das Spiel, dass sie sich um mich scharten und riefen: 'fang mich doch’. Ich jedoch, der ich bekannt war als der, der über seine eigenen Füße flog, hatte jedoch keine Chance, einen der Provokateure zu erwischen, was nicht zu meiner guten Stimmung beitrug.
In der Berufsschule (Elektronik) hatte einer unserer Lehrer mich bei einem von ihm diktierten Hefteintrag gefragt, warum ich nicht mitschrieb (seine Beiträge waren echt langweilig und für mich ein alter Hut). Da ich mir schon vorher verschiedene Antworten zurechtgelegt hatte, kam wie aus der Pistole geschossen die Erwiderung: 'Wo soll ich ihrer Meinung nach das Wissen haben, im Heft oder im Kopf?', worauf der Lehrer antworteten musste 'im Kopf natürlich'; mein Kommentar dann: 'da hab ich es schon lange', was dann mit zu einer Betragensnote 'noch entsprechend', was einer 4 entspricht, führte. Allerdings bei der nächsten schriftlichen Arbeit habe ich 100% der Punkte erzielt, was mich dann dazu veranlasste, zum Lehrer hinzugehen und zu sagen: 'ich hab’s doch gesagt, ich hab’s im Kopf'!
Soweit ich zurückdenken kann, höre ich einen Satz meiner Mutter immer wieder: "Schau mich an, wenn ich mit dir rede!", dabei schaute ich sie doch an. Erst heute verstehe ich, dass sie Blickkontakt meinte, während ich meistens auf den Mund blickte, wenn sie sprach. Da konnte ich mich viel besser auf das Gesprochene konzentrieren und verstand eher, was sie meinte, während der direkte Blickkontakt doch irritierte. Das ergeht mir heute noch genauso, vor allem wenn ich etwas erläutern soll und mich dazu konzentrieren muss, dann fixiere ich irgend einen festen Punkt im Raum. Also vor allem, wenn ich selbst spreche, brauche ich einen Ruhepol für meine Augen. Dagegen war ich in der Kindheit bei dem Spiel, sich in die Augen starren und der erste, der wegblickt hat verloren, unschlagbar. Dazu fixierte ich einfach einen imaginären Punkt irgendwo im Hintergrund hinter dem Kopf des Anderen, da konnte er Grimassen schneiden oder sonst etwas tun, es hat mich nicht berührt - ich habe immer gewonnen. Deshalb ließ das Interesse der anderen, mit mir dieses Spiel zu spielen, auch sehr schnell nach.
Wenn ich mit meinen Eltern unterwegs war, so stellten sie immer hohe Erwartungen an meine Höflichkeit. So war es ihnen ein Dorn im Auge, wenn ich Bekannte nicht grüßte. Zwar grüßte ich freundlich zurück, wenn ich gegrüßt wurde, aber das reichte meinen Eltern nicht. So forderten sie den Grundsatz zu beachten, dass ich als Kind einen Erwachsenen zuerst zu grüßen habe. Wie aber sollte ich diese so genannten Bekannten erkennen. Für mich waren das alles Fremde. Selbst Personen die im Nachbarhaus wohnten, waren mir in einer anderen Umgebung unbekannt. Wenn dagegen jemand mit mir sprach, so konnte ich sehr schnell erkennen (an Sprachgewohnheiten, der Art zu formulieren und am Tonfall), wer vor mir stand. Diese Teilleistungsschwäche des Gehirns - Prosopagnosie - wurde mir auch erst viel später bewusst. Selbst heute ist es immer noch das Gleiche, dass ich sehr oft überrascht bin, wie viele Personen mich kennen und grüßen, an denen ich ohne das geringste Anzeichens eines Wiedererkennens vorbeigegangen wäre.
Mit meiner Mutter gab es immer wieder Streit (meist Samstags), wenn es um „die Ordnung“ in meinem Zimmer ging. Sie setzte mir dann einen Termin (Uhrzeit), bis zu dem ich fertig zu sein hatte. Trotzdem kam sie meistens weit vor dem Termin, um zu kontrollieren. Da ich eine ganz andere Art des Aufräumens hatte (ich benutzte das Bett immer als Zwischenablage, während sie immer zuerst das Bett fertig machte, damit es wenigstens schon einmal so aussah, als ob man angefangen hätte). Sie kam also ins Zimmer und rief: „Du hast ja immer noch nicht angefangen, dein Bett ist ja noch nicht gemacht!“ – eine Logik, die ich nie nachvollziehen konnte. Sie forderte dann von mir, sofort alles was ich auf dem Bett hatte, herunter zu nehmen und zuerst das Bett fertig zu machen (ich hatte dann jedes Mal eine ohnmächtige Wut im Bauch, was zu manchen hässlichen Szenen führte).
Geradezu paradox erscheint es manchem, wenn er bemerkt, dass ich zwar Messer und Gabel am Esstisch akkurat ausrichte, aber in meinem Arbeitszimmer oft den für einem Außenstehenden als Chaos erscheinenden Zustand erblickt. Dass dies eine relative Betrachtung ist, lässt sich daran erkennen. dass ich trotzdem genau weiß, wo etwas liegt. Nur um all das aufräumen zu können, bräuchte ich für jedes Teil einen vorbestimmten Platz. Und es gibt leider so viele Dinge, die haben einfach keinen angestammten Platz, wo sie hingehören. Wohin sie also aufräumen - nur wegräumen ist doch nicht die Lösung! Das Dilemma ist, dass ich all die kleinen Sachen nicht irgendwie einordnen kann, dazu müsste ich sie katalogisieren. Ein gutes Beispiel ist das Sortieren von Büchern: Es ist unmöglich, Bücher sowohl nach Autor, Größe, Sachgebiet und Titel zu ordnen. Aber welche Art des Aufräumens ich auch beginne, immer hänge ich bei Dingen fest, die ich eben nicht irgendwo einordnen kann. Also bleibt der Status Quo - das (kontrollierte) Chaos!
Was auch immer wieder zu Irritationen im Umgang mit andern führt ist meine abwehrende Reaktion bei unerwarteten Berührungen. In meinem Fall ist es z. B. so, dass ich feste Umarmungen - mancher würde es schon als Quetschen bezeichnen - richtig genießen kann, während ich leichte Berührungen, wie sie bei Smalltalk vorkommen, gar nicht zuordnen kann, da sie vom Gespräch völlig ablenken (die Berührung hat für mich keinen Bezug, keinen Kontext zum gesprochenen Wort!). So unerwartete Berührungen lenken mich im Gespräch ab, denn ich beginne über jene Hand nachzudenken, die da auf meinem Arm liegt und kann mich kaum noch auf die gesprochenen Worte konzentrieren. Auch Umarmungen bei Begrüßungen kann ich nur ertragen (und auch sogar genießen), wenn sie von mir selbst ausgehen und dann auch fest genug ausfallen. Allein schon der Gedanke an unerwartete Berührungen löst bei mir eine als unangenehm empfundene Gänsehaut aus.
Als ich 16 Jahre alt war, wollte ich Schlittschuhlaufen lernen. Also ging ich Samstags Abend in das Eisstadion mit einigen Jungs aus der Nachbarschaft. Nach 60 Stürzen habe ich an diesem Abend aufgehört die Stürze zu zählen, aber nicht aufgehört es weiter zu probieren. Immer wieder spielten mir meine beiden Füße den Streich, nicht nebeneinander sondern ineinander zu fahren. Selbst der gut gemeinte Kommentar meiner Kameraden: “Werner, gib es auf! So dumm wie du hat sich noch nie jemand angestellt beim Schlittschuhlaufen, lass es einfach sein, du lernst das nie!”, konnte mich nicht davon abhalten, es am nächsten Samstag wieder zu probieren und am darauf folgendem wieder - stur und so lange, bis ich es konnte. Noch heute kann ich Eislaufen - vorwärts und rückwärts - und sicher kann sich niemand vorstellen, dass es mir einmal so schwer fiel.
Bei Strategiespielen oder bei Wissensspielen lassen mich viele meiner Zeitgenossen nicht gerne mitspielen, da mir mein ausgeprägtes Detailgedächtnis einen zu großen Vorteil verschafft. Allerdings muss ich auch sagen, dass speziell so Wissensspiele, bei denen man Karten zieht um darauf abgedruckte Fragen zu beantworten, nicht besonders reizen, da ich mir entweder die Antworten aus früheren Spieleabenden merken konnte oder auch weil die Fragen des öfteren so unexakt formuliert sind, dass ich mehr über die Fragestellung nachdenke, als über die vermutliche Antwort.
Von Zeit zu Zeit besuche ich den Mensa-Stammtisch, der immer am 30. des Monats in einer Gaststätte in München im Nebenzimmer stattfindet. Ende Mai war das Nebenzimmer leer und so vermutete ich, dass man sich kurzentschlossen aufgrund des schönen Wetters in den Biergarten gesetzt hat. Nur wo? An welchem Tisch? Ich war komplett von der Rolle - am liebsten wäre ich die 63 km wieder nach Hause gefahren! Dazu kommt, dass ich aufgrund meiner Gesichtsblindheit auch keine Chance gehabt habe, einen der Besucher evtl. von einem früheren Treffen zu identifizieren, also wieder zu erkennen. So stand ich am Parkplatz bei meinem Auto und wartete - eigentlich auf nichts Bestimmtes. Nach einiger Zeit beobachtete ich zufällig eine Frau mittleren Alters, die aufmerksam von außen durch die Fenster des Nebenzimmer blickte, offenbar um dort jemanden zu sehen und sich dann abwandte und daraufhin zu meiner Überraschung sehr zielstrebig sich einer Gruppe von ca. 12 Personen im Biergarten zuwandte. Nun war für mich die Identifizierung ausreichend geklärt und ich wusste aufgrund ihres Verhaltens, dass diese Gruppe aus Mensanern bestand und setzte mich dazu. . . . . In ähnlichen Situationen im Leben bin ich auch wieder nach Hause gefahren, denn so plötzliche Änderungen kann ich nur sehr schwer verarbeiten.
Was mich betrifft, ich bin Autist und ich spiele gerne Tischtennis.
Tischtennis hat mir viel geholfen so manche Problematik in Verbindung mit meinem Autismus zu kompensieren:
Nun spiele ich in erster Linie hobbymäßig, jedoch in einer sehr interessanten Situation; während ein sogenannter Garagenspieler (man möge mir diesen Ausdruck verzeihen, aber er beschreibt diese Art Spieler doch sehr gut) gegen mich kaum eine Chance hat, so tritt der umgekehrte Effekt ein, wenn ich gegen die meisten meiner Vereinskameraden antrete. :-)
das klingt für den ersten Eindruck vielleicht etwas provozierend.
Aber bedenke:
Bei dem dritten Punkt gibt es allerdings etwas Wichtiges anzumerken: Es gibt tatsächlich jemanden, der mich “wirklich” kennt - mein Schöpfer!
Denn davon bin ich überzeugt, dass uns unser himmlischer Schöpfer genau kennt. Und was mir ebenfalls sehr wichtig ist, er versteht mich. Was dazu kommt, dass dieser himmlische Vater und Lebensgeber einen Namen und einen damit verbundenen Vorsatz hat. Dieser Vorsatz ist es, der mir wirklich Hoffnung macht. Beten nicht viele Menschen im Vaterunser, dem Mustergebet, das Jesus uns lehrte: “Dein Königreich komme und Dein Wille geschehe!” ?
Doch die erste Bitte in diesem Gebet lautet: “Dein Name werde geheiligt!” und das ist der althebräische Namen Gottes: “JHWH”. Wenn auch viele der heutigen Religionswissenschaftler die Form “Jahwe” bevorzugen, bleibe ich bei der älteren deutschen Form “Jehova”.
Solange also Jehova Gott dieses von Menschen regierte System zulässt und mit der Ausübung seiner Macht durch sein Königreich noch wartet und deshalb sein Wille auf der Erde meist unbeachtet bleibt, solange bleibe ich mindestens noch Autist.
Ob er es als notwendig erachtet, an meinem Autismus etwas zu ändern und wenn ja, wie er dann dieses Problem löst, das überlasse ich ganz vertrauensvoll seiner göttlichen Weisheit. Denn er hat verheißen, dass einmal alle Menschen, die ihm dienen, glücklich sein werden.
Vielleicht hilft er ja auch meinen Mitmenschen, echte Toleranz zu entwickeln und mich so als ein vollwertiges Mitglied in die menschliche Gesellschaft zu integrieren, also eine perfekt gelebte Inklusion. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass mir meine Fähigkeiten und Stärken erhalten bleiben, die mein nicht nur mein Autismus sondern auch meine Hochbegabung mit sich bringen.